Sommeraktion
Viamonda Reisejournal

Bis ans Ende der Welt

Sie denken bei den Färöern an Fussball? Die Inselgruppe im Atlantischen Ozean hat viel mehr zu bieten: fast unberührte und atemberaubende Natur, faszinierende Vogelwelten und einzigartige kulinarische Highlights.

Text von Claudia Hottiger, Coopzeitung Nr. 44 vom 2. November 2021

Vielleicht wird es schön, vielleicht hat es Nebel und vielleicht regnet es später noch ­– vielleicht aber auch nicht. «Die Färöer sind die ‹islands of maybe›», sagt die Reiseleiterin Ann Askham (57) zu der Schweizer Reisegruppe. Seit 33 Jahren, mit einigen Unterbrüchen, führt sie nun schon Touristen durch ihre Heimat. Das Wetter hat ihr schon oft einen Strich durch die Rechnung gemacht. Weil es kommt und geht, wie es will. So kann es sich auch mal anfühlen, als würde man an einem Tag alle Jahreszeiten durchleben. Die Färinger nehmen es gelassen. Der plötzlich einsetzende Regen und der ständig aus dem Nichts auftauchende Nebel sorgen immerhin dafür, dass die Inseln so wunderschön grün sind, die Farbe scheint je nach Lichteinfall fast zu fluoreszieren. Bäume hat es bis auf wenige Ausnahmen keine. Dafür imposante Hügel und Berge, die mit einer dünnen Decke aus Moos, Flechten und Gräsern bedeckt sind und zum Wandern einladen. Wie Steinriesen steigen sie aus dem Atlantik empor. Hie und da stürzt ein Wasserfall über eine steile Felswand ins Meer – eine geheimnisvolle Landschaft. Nicht verwunderlich, dass die Färinger sich Mythen und Sagen erzählen, die von Steintrollen, Robbenfrauen oder den «Huldofólk» handeln, wie die versteckten Kreaturen heissen, die in den Felsen und Tunneln leben sollen.

Die kleine Inselgruppe mit autonomer Verwaltung gehört zwar zu Dänemark, sie liegt jedoch mitten im Nordatlantik zwischen Norwegen, Island und Schottland. Die 18 vulkanischen Felsinseln sind über Brücken und Tunnel miteinander verbunden, auf einige kommt man mit der Fähre, auf die Kleinste nur per Helikopter. Den Archipel selber erreicht man am schnellsten mit dem Flugzeug von Kopenhagen (DK) her. Schon auf der Fahrt vom Flughafen wird klar, warum die Färöer übersetzt «Schafsinseln» heissen. Denn Menschen sieht man auf dem Weg eigentlich kaum – aber Schafe. 53’350 Menschen leben auf den Färöern, davon 21’000 in Tórshavn, einer der kleinsten Hauptstädte der Welt. Schafe hingegen hat es auf den Inseln etwa 70’000. Diese bewegen sich völlig frei. Ein wacher Blick auf die Strasse ist also unabdingbar. Doch auch der Blick nach oben lohnt sich. Rund 300 Vogelarten kommen auf den Färöern vor, unter anderem der Nationalvogel: der Austernfischer. Jeden Sommer kommen tausende, auch seltene Vögel auf die Inseln, um ihren Nachwuchs grosszuziehen – ein wahres Paradies für Ornithologen. An den steilen Küsten nisten beispielsweise Eissturmvögel und auf den Vogelfelsen, etwa bei Vestmanna, kann man vom Motorboot aus die berühmten Papageientaucher beobachten. Ein Fernglas ist jedoch Pflicht.

 

Not macht erfinderisch
98 Prozent des Exports der Färöer-Inseln stammen aus der Fischerei. Ein grosser Teil davon ist Lachs. Er wird in Becken, die man überall vor der Küste sieht, gezüchtet und in die Welt verschifft wird. «Der Lachs ist so schmackhaft, weil die Wassertemperaturen dank des warmen Golfstroms immer durchschnittlich sieben Grad betragen», erklärt die Reiseleiterin. Was die Färinger übrigens auch nicht davon abhält, das ganze Jahr im Meer zu baden. Da ist es praktisch, dass hier jedes Dorf am Wasser liegt. Das sei früher notwendig gewesen, um zu überleben, erklärt Ann Askham. Denn durch die karge Vegetation und das raue Wetter gedeiht auf dem Archipel fast nichts. Die Fischerei, die Jagd auf Vögel, aber auch der Walfang, der immer wieder für Kritik sorgt, waren damals überlebenswichtig. Heute ist das zwar nicht mehr so, trotzdem halten die Färinger an ihren kulinarischen Klassikern fest: Kartoffeln, Rhabarber, Lammfleisch und Fisch. Letztere am liebsten abgehangen und getrocknet. Die Einheimischen nennen das «Ræst», eine Kombination aus Fermentierung und Reifung, die es nur hier gibt. Früher war das die einzige Konservierungsmöglichkeit auf den Inseln. Doch auch wenn heute alle einen Kühlschrank haben, wird immer noch im traditionellen «Hjallur», einer kleinen Holzhütte, die sich neben fast jedem Wohnhaus befindet, getrocknet und fermentiert.

Hinter dem See «Leynavatn» und fern ab vom nächsten Dorf und der Hauptstrasse steht ebenfalls ein solches Hüttchen. Gleich daneben befindet sich das «KOKS» – das abgelegenste Gourmetrestaurant der Welt. Seit 2019 ist es mit zwei Sternen ausgezeichnet. Geleitet wird es unter anderem von einer Schweizerin. Als Karin Visth vor acht Jahren mit dem Rucksack auf den Färöern ankam, war sie nicht nur die erste Sommelière auf den Inseln, sie hat sich auch direkt in Land und Leute verliebt. «Obwohl ich bis kurz vorher noch nie etwas von den Färöern gehört habe», gibt die 34-Jährige zu. Eigentlich ist sie per Zufall hier gelandet. Ein Gastrokritiker war es, der sie, als sie noch in Dänemark arbeitete, auf die Stelle als Sommelière im Restaurant «KOKS» aufmerksam machte. Ein Sternerestaurant auf den Färöern? Das geht – obwohl hier fast nichts wächst. Krustentiere oder Muscheln etwa kommen so frisch wie fast nirgendwo auf den Teller, Kräuter werden wild gesammelt, ein Teil des Gemüses stammt aus dem eigenen Gewächshaus. Anderes, wie etwa der Wein, findet seinen Weg jedoch von überall her zum Restaurant am Ende der Welt – eine Herausforderung. Genauso, wie einer Nation von Biertrinkern den Wein näher zu bringen. «Hier hat sich noch niemand intensiv damit beschäftigt, welche Gerichte mit welchem Wein harmonieren.» Doch genau das sei es, was ihre Arbeit so spannend mache. Hier weg, will sie nicht mehr. Nicht nur, weil die Mutter von zwei Kindern mit einem Färinger liiert ist. «Obwohl ich schon so lange hier bin, denke ich immer noch beim Anblick der Natur: wow!», schwärmt sie. Die Ruhe und das etwas einfachere Leben haben es ihr angetan. «Hier ist man irgendwie sozialer.» Freunde und Familie hätten auf den Inseln einen hohen Stellenwert. Und weniger stressig sei alles, sagt sie, auch wenn man viel zu tun habe.

Zu Gast bei Fremden
Ein Gefühl dieses Zusammenhaltes kann man auch als «Nicht-Färinger» bekommen. «Heimablídni», was übersetzt so viel wie Gastfreundschaft heisst, nennt sich das Restaurant-Konzept der etwas anderen Art. Und die strahlen Anna (60) und Óli (63) Rubeksen aus. 1995 hat Anna den Bauernhof von ihren Eltern übernommen, den sie bereits in der neunten Generation gemeinsam mit ihrem Mann führt. Seit acht Jahren bewirten sie, neben ihrer Arbeit auf dem Hof, Gäste aus aller Welt bei sich zu Hause in Velbastaður. Doch wie typischen Bauern sehen die beiden nicht aus und auch das Haus hat nichts von einem Bauernhaus, wie man es sich vorstellt. Modern eingerichtet ist es, offen mit einer grossen Fensterfront, aber trotzdem gemütlich. Die Schuhe zieht die Reisegruppe auf Anweisung von Óli am Eingang aus – eben wie bei Freunden. Es duftet nach frischem Brot und der Lammkeule, die im Ofen schmort. Zwei lange Tische sind liebevoll für die hungrigen Gäste gedeckt. Fröhlich serviert Óli einen Gang nach dem nächsten, dazu schenkt er jeweils ein neues Bier ein. «Total lokal», wie er sagt. Nämlich von der Brauerei «Okkara», die gerade ums Eck liegt und welche die Gruppe bereits einen Tag zuvor besuchen durfte. Dann erhebt er das Glas mit einem zünftigen «skál». Und während sich die Reisegruppe über den getrockneten Fisch, den Lachs, das Lamm und die glasierten Kartoffeln hermacht, wird es draussen langsam dunkel. So, dass sich die Kerzen auf dem Tisch in der Fensterfront spiegeln. Dass der Nebel noch dichter geworden ist, scheint niemanden zu interessieren. Das ist halt so auf den Färöern. Vielleicht wird es ja später besser – vielleicht aber auch nicht.

Die Journalistin reiste auf Einladung von Vögele-Reisen.

 

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